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Markus Gogolin: Marken, Resilienz und Digitalisierung in der Coronakrise

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In Zeiten von Corona werden die Versäumnisse der Vergangenheit offensichtlich. Hätte, hätte Fahrradkette… Hätten wir nicht besser aufgestellt sein müssen für die Krise und die Zeit danach? Ich sage ja.

 

Überall wird jetzt mit Vollgas auf Digitalisierung gesetzt. Zumindest wird dies allerorts kommuniziert. Gute Beispiele finden sich in allen Medien, auch und besonders bei Twitter. Gerade hier findet ein Fest der Sichtbarmachung von New Work statt. Jeder zeigt sich gern und häufig und per Bild bei irgendwelchen Videokonferenzen. Fein gemacht!

 

Digitalisierung und die damit verbundenen Chancen werden gerade jetzt durch den Druck der Krise zum ersten Mal wirklich verstanden und sogar angewendet. Jedes Business, das frühzeitig auf Digitalisierung und digitale Kundenbindung bei gleichzeitiger Datenhoheit gesetzt hat, liegt nun klar im Vorteil gegenüber denen, die dem Priorisierungsbias auf den Leim gegangen sind und nicht bzw. zu wenig oder zu leidenschaftslos in digitale Kanäle investiert hat. Digitalisierte Projekte konnten bisher auf die nächste Woche, den nächsten Monat oder sonst wann geschoben werden, wenn es nämlich etwas Zeit und Raum dafür gäbe und das Tagesgeschäft dadurch nicht gestört würde. You know.

 

Ein weiterer entscheidender Wettbewerbsvorteil kann eine grundlegende Transparenz bezüglich Angebot und Service sein. Größeren Firmen kann es derzeit Zugute kommen, wenn sie in der Vergangenheit auf diverse Businessmodelle gesetzt und unter Umständen auch StartUps in ihren Kosmos integriert haben. Breit aufgestellt sein schützt.

 

Momentan gilt es, schnell und agil handlungsfähig zu sein und nicht nur darauf zu hoffen, dass die Krise irgendwann vorüber geht. Nach der Krise ist vor der Krise, oder anders gesagt: der richtige Zeitpunkt wartet auf Godot.

 

Die häufig auftretende Haltung des „Morgen, morgen, nur nicht heute fangen wir an mit der digitalisierten Gesellschaft rächt sich massiv  – und zwar quer durch alle Bereiche von Gesellschaft bis Wirtschaft, von Bildungs- und Gesundheitswesen bis hin zum stationären Einzelhandel und der Gastronomie. Obwohl uns in Europa genügend positive Beispiele für eine digitale Ordnung vorliegen, wurde die digitale Gesellschaft oft nur verklausuliert, ohne tatsächlich Anwendung zu finden. Systemrelevante Bereiche wie Schulen, kooperative digitale Bildung, Open Data Ansätze in der Wirtschaft und im Gesundheitssystem werden nun mit heißer Nadel gestrickt, sind quasi aus der Not heraus geboren. Können wir damit wirklich zufrieden sein?

 

Vorsicht bei vorschnellen Digitalisierungsmaßnahmen

Ob Digitalisierung first oder now – Obacht ist geboten. Bei allen ad hoc ausgerollten Maßnahmen lauern Gefahren, die später aufgrund der Etablierung zu einer Überdehnung führen können:

  • Hoheit der Kundendaten?
  • Ethische Entscheidungen/ethischer Einsatz?
  • Kundenzentrierung?
  • Fairness in Bezug auf Angestellte, Dienstleister etc.
  • Ökologisches Handeln

Es wäre fatal, wenn alle Beteiligten sich nun auf die großen Plattformen konzentrieren und ihnen noch mehr Kundendaten zuspülen. Aber Apps, die uns vollends überwachen, werden so schnell post Corona nicht verschwinden. Für die Zeit danach gilt es, ethische Fragen auf europäischer Ebene zu durchdenken und transparent auszutarieren – vielleicht sogar zum ersten Mal. Jede einzelne Unternehmung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.

 

Aber es gibt auch viele Initiativen, die in die richtige Richtung gehen, wenn es um ortsansässige Unternehmen geht: lokale Plattformen wie Nachbarschaftshilfen und Kooperationen entstehen (#supportyourlocal…).

 

Dem Kunden zur Seite stehen auch über die Krise hinaus

Firmen mit diversem Business Modell und agilen/relevanten Angeboten werden diese Krise überstehen. Die große Frage für Unternehmen sollte also lauten:

 

Welchen Beitrag leisten wir gegenüber der Gesellschaft (und unseren Kunden), um durch diese Zeiten zu kommen? Und wie gehen wir mit unseren Kunden, Mitarbeitern und Corporate Influencern um?

 

In puncto Marketing beobachte ich derzeit, dass viele Kampagnen auf reine CSR Themen fokussieren, leider oftmals ohne einen realen Beitrag zu leisten. Relevanz aber erzeugt nur, was richtig ans Eingemachte geht. Verlage beispielsweise stellen kostenfreie Angebote zur Verfügung und erleichtern das Home Schooling. Fashion Brands stellen zum Selbstkostenpreis Atemschutzmasken her. Diese unternehmerische Haltung wird sich nachhaltig auszahlen und erzeugt eine hohe (Neu-)Kundenbindung. Wohingegen Social Media, Print- oder TV-Kampagnen, die uns nur erzählen, dass #stayathome heute richtig ist, im tiefen Tal der (Marken-) Irrelevanz verstauben werden.

 

In Krisenzeiten ist es eine Frage der unternehmerischen Entscheidung: Auch ohne Marketingabteilungen können Organisationen den Kunden ein Gefühl geben von „Hier wird sich gekümmert“, „Hier wird (schnell) und unbürokratisch gehandelt“ und im Endeffekt: „Diesem Brand kann ich vertrauen in allen Lebenslagen“, weil Werte matchen. Genau dann verfügt ein Unternehmen über eine hohe Markenresilienz und überlebt auch die nächste Krisenzeit (Beispiel Trigema, Manomama).

 

Der Begriff Resilienz stammt aus der Psychologie und beschreibt die psychische Widerstandskraft und Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Markenresilienz, also die Krisentoleranz und Überlebensfähigkeit eines Brands, ist eine gefühlte Größe, die durch Krisen (je ärger, desto eher) auf dem Prüfstand steht. Und jede Marke kann und sollte in prosperierenden Zeiten bisweilen dafür Sorge tragen, diese überlebensnotwendigen Markenmuskeln zu trainieren und häufiger Planspiele durchführen, um daran seine Relevanz zu überprüfen. Dieses Training ist rekursiv; durch Feedbackschleifen kann man jederzeit nachjustieren und somit up-to-date bleiben. Die Kooperation mit dem Kunden ist hierfür notwendig, erwünscht und förderlich. Und die Datenhoheit sowie eine unabhängige Plattformökonomie sind entscheidende Faktoren zum Gelingen der Markenresilienz.

 

Folgende Fragen dienen dazu, sich selbst auf die Spur zu kommen:

  • Kenne ich meine Kunden?
  • Bin ich systemrelevant für meine Kunden? Für die Gesellschaft?
  • Was biete ich meinen Kunden in Krisenzeiten an?
  • Brauchen meine Kunden meine Produkte/Dienstleistungen?
  • Wie kann ich einen Mehrwert für keine Kunden bieten, die evtl. auch selbst in einer Krise stecken?
  • Welche Relevanz hat meine Unternehmung für meine Mitarbeiter, Kunden und die Gesellschaft?
  • Welchen Beitrag leiste ich gegenüber der Gesellschaft?
  • Ist meine Unternehmung anschlussfähig?
  • Welchen Grad der Kundennähe habe ich? B2B2C?
  • Wie transparent sind meine Produkte und Geschäftsmodelle?
  • Sind sie ethisch vertretbar?
  • Wie fühlt sich eine Marke an?

Die Hausaufgaben, die jetzt viele Unternehmen zu leisten haben, lauten zusammengefasst:

 

Short-term:

  • Wie gehen wir mit unseren Mitarbeitern und Kunden in Krisenzeiten um?
  • Welchen Mehrwert kann ich JETZT der Gesellschaft und meinen Kunden/Mitarbeitern liefern?

Long-term:

  • Neustrukturierung der Business Modelle unter Einbeziehung größtmöglicher Transparenz gegenüber Mitarbeitern und Kunden mit dazu gehöriger langfristiger Marketing- und Kommunikationsstrategie.
  • Maximale Transparenz gleich Komplexitätsreduktion
  • Welche Unternehmenskultur wird in fünf Jahren welche Kunden anziehen?

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